Fürs ganze Leben ge(kenn)zeichnet!
Einige Tattoofarben lösen Allergien aus, andere sind krebserregend. Für den Einsatz unter der Haut wird kein einziger dieser Stoffe getestet.
Heute läge der Mann absolut im Trend. Er war nur etwas zu früh dran, um die 5.000 Jahre: Ötzi, die Gletschermumie aus den Südtiroler Alpen. Vor zwei Jahren haben Forscher die dünne schützende Eisschicht auf seiner Haut weggetaut und insgesamt 61 Tattoos gezählt. Der ewige Körperschmuck war nicht nur im jungsteinzeitlichen Europa angesagt. Auch die Maya in ihrer Blütezeit machten sich fein, indem sie Farbe unter die Haut brachten. Genauso die Maori in Neuseeland, bis heute.
Die Faszination für Tattoos hat in der Moderne einen neuen Höhepunkt erreicht. In Deutschland ist etwa jeder Zehnte tätowiert, von den 16- bis 29-Jährigen fast jeder Vierte. Die meisten belassen es so wie Ötzi nicht bei einem einzigen Tattoo, sondern färben sich die Haut auf einer Fläche von etwa der Größe eines DIN-A5-Blattes mit Pigmenten.
Dass das Stechen eine Verletzung der intakten Haut bedeutet und damit aus medizinischer Sicht ein Infektionsrisiko darstellt, ist wohl jedem klar, der sich in ein Tätowierstudio begibt. Was weniger gut bekannt ist: Oftmals ist ungewiss, welche Substanzen in der Tattoofarbe enthalten sind und was damit im Körper passiert. Kosmetikprodukte wie Cremes und Lotionen, die nur auf die Haut aufgetragen werden, unterliegen hierzulande strengen Zulassungsregeln. Dagegen kontrolliert niemand systematisch die Qualität und Verträglichkeit von Tattoofarben – obwohl sie nicht auf, sondern unter die Haut appliziert werden. Seit etlichen Jahren schon steht dieses Problem im Raum, verlässliche Zahlen und Fakten gibt es aber nur für die akuten, augenscheinlichen Beschwerden.
So behandelt ein aktueller Bericht der Gemeinsamen Forschungsstelle (GFS) der Europäischen Kommission auf 17 von 113 Seiten die Gesundheitsrisiken und -beschwerden durch Tattoos. Etwa zwei von drei frisch Tätowierten berichten demnach von Rötungen oder Schwellungen, die jedoch in der Regel rasch wieder abklingen. Solche Symptome sind die natürliche Reaktion des Körpers darauf, dass der Tätowierer mit der Nadel die Haut verletzt hat. Hartnäckigere Konsequenzen wie Infektionen oder Allergien sind seltener, laut Bericht kommen sie aber immerhin bei etwa sechs Prozent vor.
Die Farbe wandert in den nächsten Lymphknoten.
Ärztlich beraten lässt sich aber nur ein Prozent aller Tätowierten. Dabei kann eine allergische Reaktion im schlimmsten Fall lebensgefährlich werden, wenn der Körper überempfindlich auf einen Inhaltsstoff der Farbe reagiert. Problematisch ist dann vor allem, dass die auslösenden Substanzen nicht schnell und einfach entfernt werden können.
Das Ziel des Tätowierers ist es, die Farbpigmente dauerhaft in einer bestimmten Schicht der Haut zu deponieren. Elektrische Tätowiermaschinen stechen dazu die Nadel bis zu mehrere Tausend Mal pro Minute in die Haut. Sie dringt durch die oberste Schicht (Epidermis) in das eigentliche Ziel ein, die darunterliegende Lederhaut (Dermis). Manchmal gelangt sie bis in die Unterhaut (Subkutis).
Millimeter entscheiden darüber, in welcher Hautschicht die Farbpigmente landen und was danach mit ihnen passiert. In der Epidermis beispielsweise beginnt die Tattoofarbe nach einigen Wochen zu verschwinden, weil sich die Hautzellen dort ständig erneuern. In der untersten Schicht kann die Nadel Blutungen und Verletzungen auslösen, sodass die Farbe sich großflächig verteilt, statt an Ort und Stelle zu bleiben.
Der aktuelle Forschungsbericht der GFS sagt: In 90 Prozent der Fälle bleibt die Farbe nicht vollständig in der erwünschten Hautschicht. Die Pigmente werden von natürlichen Fresszellen des Immunsystems als fremd erkannt, verspeist und in die nächstgelegenen Lymphknoten gebracht, wo sie vermutlich eine lange Zeit überdauern.
Das bedeutet, dass die Farbe von der tätowierten Stelle auch in andere Körperregionen wandert. “Wenn Sie ein rotes Tattoo auf dem Oberarm besitzen, dann haben Sie rote Lymphknoten in der Achsel. Wenn Sie ein grünes Tattoo haben, sind die Lymphknoten grün”, sagt der Molekularbiologe Wolfgang Bäumler von der Universität Regensburg. Wohin die Farbe von den Lymphknoten aus gelangt, ist nicht bekannt. Ebenso wenig weiß man, welcher Anteil im Körper verbleibt und wie viel ausgeschieden wird. “Im Moment kann deshalb niemand sicher beurteilen, was das für den Menschen bedeutet und ob daraus ein gesundheitliches Risiko abzuleiten ist”, sagt Bäumler.
Neben dem unklaren Verbleib im Körper gibt es ein weiteres Problem: die Inhaltsstoffe der Tätowierfarben. Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Gemische verunreinigt sind, etwa mit Schwermetallen oder Mikroben (siehe Kasten). Dabei liest sich das Basisrezept für eine Tattoofarbe recht schnell: Nötig sind Farbpigmente, Löse- und Bindemittel und eventuell noch Konservierungsstoffe. Hinzu kommen in einigen Fällen Zusätze wie Duftstoffe oder Pflanzenextrakte. In der Realität sind die meisten Cocktails komplexer. “Bis zu hundert Substanzen stecken in einem Tattoofarbengemisch”, erklärt Bäumler. Manche davon geraten nicht einmal mit Absicht hinein, beispielsweise Weichmacher, die sich aus Plastikflaschen lösen.
Die Unsicherheit beginnt schon bei den Pigmenten selbst, der Kernkomponente der Farbgemische. “Auf einem Kongress habe ich die versammelten großen Hersteller von Tattoofarben gefragt: Hand hoch, wer von euch stellt die Farbpigmente selber her?” Bäumler lacht und sagt: “Keine einzige Hand war oben.” Meistens stammen die Pigmente aus der chemischen Großindustrie und sind für andere Einsatzfelder vorgesehen. “Die industriellen Hersteller sagen, das Ding muss seinen Job im Autolack erfüllen oder in der Druckerpatrone. Der Rest interessiert sie nicht. Völlig zu Recht auch”, sagt Bäumler.
Eine Positivliste von Substanzen, die für Tätowierfarben sicher und gesetzlich zugelassen sind, existiert in Deutschland nicht. Die sogenannte Tätowiermittel-Verordnung, die es seit 2009 gibt, enthält stattdessen eine Negativliste. Diese verbietet den Gebrauch gefährlicher Substanzen – mit 38 verbotenen Stoffen ist die Liste aber überschaubar. Was nicht draufsteht, darf in die Tattoofarbe. Doch selbst bei Pigmenten, die für kosmetische Produkte geeignet sind, ist die Verträglichkeit nicht sichergestellt. “Für den Gebrauch unter der Haut sind bislang keine Substanzen getestet” sagt Jutta Tentschert vom Bundesinstitut für Risikobewertung. Die Hautverträglichkeit solcher Pigmente wurde im Rahmen der kosmetischen Anwendung lediglich auf der Hautoberfläche nachgewiesen.
Versuche, in denen man die Tattoofarben Labortieren unter die Haut injiziert, sind hierzulande aus ethischen Gründen nicht erlaubt.
Der Chemiker und gelernte Lacklaborant Michael Dirks vertreibt eigene Tattoofarben. Schon vor einigen Jahren hat er für seine Diplomarbeit einen Stamm an ungefährlichen Substanzen zusammengestellt. Eine Pigmentklasse schloss er von Anfang an aus: Azofarbstoffe, die im Verdacht stehen, unter UV-Strahlung zu Spaltprodukten zu zerfallen. “Viele erlaubte Verbindungen sind zu labil”, sagt der Chemiker. Um die Verträglichkeit seiner Substanzen auch unter der Haut zu testen, wählte er eine etwas unorthodoxe Methode: Alle Farbmixturen probierte er an sich selbst aus. Mehr als 200 kleine Quadrate in unterschiedlichen Farben zieren nun seinen Oberschenkel. “Am sichersten ist es, sich Farben tätowieren zu lassen, bei denen man alle Inhaltsstoffe kennt”, sagt Dirks, der mittlerweile im wissenschaftlichen Beirat des Berufsverbands Deutsche Organisierte Tätowierer (DOT) sitzt. Er ist überzeugt: “Wenn man will, dann kann man gute und verträgliche Farben herstellen.”
Perfekte Verpackung, billiger Inhalt: Fälschungen erkennt man am Preis.
Leider achten längst nicht alle Tattoostudios auf die Herkunft und Qualität der Farbmischungen. Gleichzeitig gelangen immer mehr gefälschte Produkte auf den Markt, meistens Billigmixturen aus Asien. “Das macht mir schon Sorgen”, sagt der Tätowierer Maik Frey, der seit bald 30 Jahren ein Esslinger Studio betreibt und nebenher den DOT vertritt. “Selbst ein Fachmann kann so eine Fälschung nicht erkennen – außer vielleicht am niedrigen Preis.” Während die Originalverpackung mitsamt Hologrammen bis ins kleinste Detail nachgebildet wird, kümmert keinen Schwindler die Qualität des Inhalts.
Auch wenn bisher keine Studie zweifelsfrei nachweisen konnte, dass Substanzen aus Tattoofarben langfristig schädlich wirken, fürchten die Tätowierer einen Imageschaden für ihre Branche. Auf Tagungen sitzt der DOT mittlerweile mit Wissenschaftlern, Farbherstellern und Vertretern der Politik an einem Tisch. In den Gesprächen gehen die Ansichten über gesundheitliche Risiken zuweilen auseinander. Studiobesitzer Frey hält viele Kritikpunkte für übertrieben. “Ein erfahrener Tätowierer weiß, welche Farben gut gehen und keine Probleme machen”, sagt er. “Wir wollen ja auch nicht, dass die Kunden mit einer allergischen Reaktion am Arm wiederkommen.” Hinter den unappetitlichen Bildern von Hautreaktionen, die Wissenschaftler auf Kongressen gerne vorlegen, steckt seiner Meinung nach oft mangelhaftes Handwerk. “Da fehlt die Hygiene, oder der Tätowierer hat viel zu lange zugestochen”, erklärt er.
Selbst wenn sich Forscher, Tätowierer und Gesetzgeber irgendwann auf verbindliche Regeln einigen: Wer jetzt bereits ein Tattoo hat, wird damit leben müssen, im wahrsten Sinne des Wortes. “Von den heute vorhandenen Tätowierungen stammen 80 Prozent aus einer Zeit, in der gar nichts reguliert war”, sagt der Molekularbiologe Bäumler. Sich ein Tattoo wieder entfernen zu lassen, ist auch keine sichere Lösung: Über mögliche gesundheitliche Folgen von Laserbehandlungen wird genauso gestritten wie über die Tattoos selbst. Forschungsergebnisse zeigen: Dabei können potenziell krebserregende Substanzen entstehen, sogenannte aromatische Amine. Inwiefern sie sich auf die Gesundheit auswirken, ist bislang nicht bekannt.
Der Dermatologe und ausgebildete Lasermediziner Nikolaus Seeber behandelt in seiner Hamburger Praxis wöchentlich bis zu 70 Patienten, die ihre Tattoos wieder loswerden wollen. Dass die Prozedur nicht völlig risikofrei ist, ist ihm klar. “Es kommt letztlich auf die Dosis an”, erklärt er. Zwischen ein und zwei Milligramm Farbsubstanz finden sich in einem Quadratzentimeter Haut. “Wenn der ganze Rücken tätowiert ist, dann würde ich mir das zwei- oder dreimal überlegen. Aber es wäre wohl keine allzu gute Idee”, sagt er. In den meisten Fällen verschwindet ein Tattoo durch die Laserbehandlung ohnehin nicht vollständig, sondern verblasst nur. Eine Tätowierung ist und bleibt eine Entscheidung auf Lebenszeit – oder, wie bei Ötzi, darüber hinaus.
Credit: Zeit.de
Zur besseren Betrachtung, finden Sie das aktuelle Bild im größeren Format, natürlich auch in unserer Bildergalerie des Jahres 2017!
Bitte auf das nächste Bild mit Mutti Merkel und ihrer Wahrsagerkugel klicken!
Hier geht es zurück zu unserer Startseite!
Tags: Gifte Hautkrebs Krebserregend Oetzi Schaedlich Taetowierung Tattoo