Der Bratwurschtkrieg von Rodaborn! Treffen sich mehrere Richter des Verwaltungsgerichts Gera zur Verhandlung an einer Autobahnraststätte, ihr Thema ist Wurst. Das ist kein Witz, sondern die Wahrheit. Zwischen Triptis und Hermsdorfer Kreuz, Rastplatz Rodaborn, muss an einem sonnigen Tag im Mai ein deutsches Gericht über das entscheiden, was in den Medien als “kurioser Wurststreit” bekannt geworden ist. Als “Wurst-Krieg” von Rodaborn. Als Kampf zweier Wurstverkäufer gegen das System.
Der Fall: Christina und Georg Wagner, aus Karlsruhe stammend, verkaufen seit Jahren Thüringer Würstchen und Bier an Autofahrer, eben an diesem Rastplatz. Das Problem: Sie dürfen das nicht, denn es fehlt ihnen eine Lizenz. Niemand darf in Deutschland einfach so an Rastplätze gehen und Würstchen verkaufen.
Oberflächlich betrachtet, geht es in dieser Geschichte darum, ob zwei Menschen einen Imbiss betreiben dürfen.
Tatsächlich geht es um mehr. Es geht um die Frage, was gerecht ist. Ist es gerecht, zwei Menschen zu verbieten, ein paar Würstchen zu verkaufen – nur damit Großkonzerne in Ruhe zu bisweilen üppigen Preisen ihre Produkte vertreiben können? Andererseits: Sollen sich zwei Menschen einfach über Recht und Gesetz hinwegsetzen dürfen – und von den Medien und vielen Bürgern auch noch als die Robin Hoods des Grillgeschäfts feiern lassen dürfen?
Raststätte Rodaborn! Einst konnte man dort ganz offiziell Würste essen, die Raststätte, inzwischen verwittert, war die erste deutsche Autobahnraststätte überhaupt, eröffnet vor 80 Jahren. Seit einiger Zeit gibt es aber keine Konzession mehr für sie, es darf in Rodaborn also nicht mehr an Autofahrer verkauft werden. Der Staat sichert das auf radikale Weise: Zwischen dem Rast-Areal, mit Klohäuschen und Parkflächen, und dem Raststättenhaus wurde ein Metallzaun errichtet, imposant, zwei Meter hoch. Das einstige Rasthaus darf nur noch als Ausflugslokal betrieben werden, erreichbar lediglich von Landstraßen aus.
Jedoch hat der Staat seine Rechnung ohne Christina und Georg Wagner gemacht.
Das Paar lebt seit dem Jahr 2009 in Rodaborn, die Wagners haben das Raststättenhaus von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben gekauft, zu einem niedrigen fünfstelligen Preis, sagen sie. Zuvor hatte es länger leer gestanden.
Damals war der Zaun schon da, aber die Wagners dachten, sie tricksen die Bundesrepublik Deutschland jetzt einfach aus.
„In den Verträgen war vermerkt, dass es Möglichkeiten für einen Verkauf von Speisen gibt”, sagt Christina Wagner. Sie und ihr Mann hofften darauf, dass man ihnen eines Tages erlauben würde, die Türen im Zaun zu öffnen und die Autofahrer auf dem Parkplatz zu versorgen.
Passiert ist das nie. Die Wagners fühlten sich deshalb betrogen – und setzten sich über den Zaun einfach hinweg. Eigenmächtig brachten sie auf der Autobahnseite eine Klingel an, für die Kundschaft auf dem Parkplatz. Wenn es klingelt, nimmt Christina Wagner die Bestellung auf, packt die Sachen in einen Korb, steigt auf eine Leiter, reicht die Ware über den Zaun zum Kunden. An guten Tagen passiert das 60-, 70-mal. So läuft das nun seit Jahren.
Ihr Imbiss ist so zur Attraktion an der Autobahn geworden. Es gibt viele Stammkunden, die sogar Umwege fahren und loben, dass die Wurst hier besonders gut schmecke; für 2,50 Euro sei sie obendrein ein Schnäppchen. Viel billiger als bei der Konkurrenz an der A?9. Dort gibt es einige Raststätten, die zum Großunternehmen Tank & Rast gehören. Gegen so eine Firma sind die Wagners kleine Krauter. Aber ihre Raststätte ist ständig in den Schlagzeilen. Vor einiger Zeit war sie das sogar mit einem Notfall. Ein Kunde wollte nicht per Klingel bestellen, sondern über den Zaun klettern. Er blieb hängen, riss sich einen Finger ab.
Lange haben die Behörden das Treiben der Wagners geduldet. Dann forderten sie einen Verkaufsstopp und drohten ein Bußgeld an: 2.000 Euro. Dagegen klagten die Wagners.
Der Tag der Verhandlung. Das Gericht ist zum Rasthof gereist, um sich vor Ort ein Bild zu machen.
Christina Wagner, eine kleine Frau mit Kurzhaarfrisur, ist für ihre Fans eine Rebellin. Eine, die gegen eine Grenze aufbegehrt, die keiner versteht und niemand will. Mehr noch: Sie ist eine Symbolfigur, eine Art Heilige Johanna der Rasthöfe, die gegen ein ganzes System kämpft. Vor der Verhandlung sagt sie trotzig: “Selbst wenn ich verliere, ich zahle dieses Zwangsgeld nicht. Ich bin freie Bürgerin in einem freien Land. Dann sollen die mich, eine Mutter von drei Kindern, doch direkt am Zaun verhaften.”
Auftakt der Verhandlung, die Dritte Kammer des Geraer Verwaltungsgerichts hat Stühle und kleine Tische auf der grünen Wiese vor der Raststätte aufbauen lassen. Richter Bengt Fuchs hat den Außentermin angesetzt und Glück mit dem Wetter: perfekter Sonnenschein. Der Jurist, Trachtenjacke, weißes Einstecktuch, gepunktete Fliege, ist bestens aufgelegt und betont, dass dieses Treffen ziemlich normaler Gerichtsalltag sei. Drei Dutzend Journalisten beobachten, wie Richter Fuchs seinen Open-Air-Court organisiert. Seine Kammer sowie Kläger und Beklagte platziert er auf Gartenstühlen, zwischen Löwenzahn und Gänseblümchen. “Schön gegenüber, das muss aussehen wie im Gerichtssaal”, ordnet er an. Georg Wagner auf der Klägerseite soll noch seine Mütze absetzen, außerdem bitte schön: Alle Handys und Kameras abschalten, damit die Verhandlung ungestört bleibt!
Der Verkehr lässt sich freilich nicht abschalten. Und die Bratwurstklingel am Zaun offenbar auch nicht: permanent läutet sie. Richter Fuchs dekliniert mit erhobener Stimme die Paragrafen des Bundesfernstraßengesetzes durch. Die Frage ist, ob die Wagners “mit leichten Reflexen in den Straßenraum hineinwirken” dürfen – so heißen ihre Imbissverkäufe im Verwaltungsdeutsch. Brauchen sie für ihre Raststätte eine Konzession oder eine Sondergenehmigung? Und wieso steht an dieser Stelle überhaupt ein Zaun?
“Ganz normale Richtlinie vom Bund”, erklärt Markus Brämer, Chef des Thüringer Landesamtes für Verkehr, der die Seite der Beklagten vertritt. “Es darf keine rückwärtige Erschließung über die Parkplatzflächen geben.” Übersetzt: Man will alles Mögliche von der Autobahn fernhalten. Brämer kann gar nicht mehr zählen, wie oft er schon zu Schlichtungen und Verhandlungen an der Raststätte war. Er scheint amüsiert über das Justiz-Schauspiel, aber eigentlich ist die Sache für ihn klar, also entschieden – gegen die Wagners.
Christina Wagner und ihr Mann sitzen still da, wirken überfordert. Sie wollen doch nur Würstchen verkaufen. Nach anderthalb Stunden zieht sich die Kammer zurück, man berät sich, kein Scherz, im Wäldchen hinter der Raststätte. Schließlich das Urteil: Die Klage der Wagners wird abgewiesen. Wenn sie nicht zumachen, müssen sie das Bußgeld zahlen. Richter Fuchs sagt in seiner Begründung: “Die Behörde hat den Verkauf jahrelang geduldet, aber eine Duldung vermittelt noch keine Rechtsgültigkeit.” Und der Hinweis, dass es sich um die erste deutsche Raststätte handelt, also echte Tradition im Spiel ist? “Entbindet Sie nicht von der Härte des Fernstraßenrechts.”
Christina Wagner geht das nahe. Andererseits sagt sie: “Ich habe das Urteil nicht anders erwartet.” Da klingelt schon wieder jemand nach Wurst. “Wir verkaufen auf jeden Fall weiter. Wir müssen als Nächstes eben gegen die Bundesregierung vorgehen, eine ihrer Behörden hat uns damals ja das Haus verkauft.” Ob sie weiterkämpfen können? Die Einnahmen ihres Lokals, sagen die Wagners, reichten gerade so zum Leben. Nun die hohen Prozesskosten.
Und … die Richter haben noch nicht einmal ein Würstchen gekauft!
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